Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club e. V. (ADFC)

Fahrradfahren in der Stadt. Hier: Invalidenstraße, Berlin-Mitte.

Fahrradfahren in der Stadt. Hier: Invalidenstraße, Berlin-Mitte. © ADFC/Gerhard Westrich

Die neue StVO 2024: Verbesserungen für Rad-, Bus- und Fußverkehr

Die neue Straßenverkehrsordnung erleichtert seit Oktober 2024 das Einrichten von Fahrradwegen und Tempo-30-Zonen. Das ADFC-Dossier erklärt die wichtigsten Änderungen samt Paragrafen und zeigt, wie Kommunen die neuen Möglichkeiten nutzen können.

2024 hat der Gesetzgeber neue Ziele in das Straßenverkehrsgesetz (StVG) und die Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) aufgenommen. Damit wurde die Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag der Ampel umgesetzt: „Wir werden Straßenverkehrsgesetz und Straßenverkehrs-Ordnung so anpassen, dass neben der Flüssigkeit und Sicherheit des Verkehrs die Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung berücksichtigt werden, um Ländern und Kommunen Entscheidungsspielräume zu eröffnen.“

Neue Ziele verankert

Eine neue Ermächtigung in § 6 Abs. 4a StVG hat folgende Ergänzung von § 45 Abs. 1 StVO ermöglicht: „(1) Die Straßenverkehrsbehörden können die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten.“ 

Das gleiche Recht haben sie „(7.) zur Verbesserung des Schutzes der Umwelt, darunter des Klimaschutzes, zum Schutz der Gesundheit oder zur Unterstützung der geordneten städtebaulichen Entwicklung, sofern die Leichtigkeit des Verkehrs berücksichtigt ist und die Verkehrssicherheit nicht beeinträchtigt wird, hinsichtlich

a) der Einrichtung von Sonderfahrspuren und bevorrechtigenden Lichtzeichenregelungen für Linienbusse und
b) der Bereitstellung angemessener Flächen für den fließenden und ruhenden Fahrradverkehr sowie für den Fußverkehr.“

Nachweis der besonderen örtlichen Gefahrenlage entfällt

Hinzu kommt eine Ausnahme von allen Anforderungen des § 45 Abs. 9 StVO u. a. hinsichtlich „der Bereitstellung angemessener Flächen für den fließenden und ruhenden Fahrradverkehr sowie für den Fußverkehr“ in § 45 Abs. 10 StVO: „(10) Absatz 9 gilt nicht, soweit Verkehrszeichen angeordnet werden, die zur Förderung der Elektromobilität nach dem Elektromobilitätsgesetz oder zur Förderung des Carsharing nach dem Carsharinggesetz getroffen werden dürfen, und für Anordnungen nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 7.“

Aufgrund dieser Ausnahme entfällt für Radverkehrsanlagen, die mit den neuen Zielen begründet werden, der Nachweis der „besonderen örtlichen Gefahrenlage“ und auch die Anforderung, dass sie auf Grund der besonderen Umstände „zwingend erforderlich“ sind. 

Absatz 9 ist in den ersten drei Sätzen unverändert geblieben und lautet: „(9) Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen sind nur dort anzuordnen, wo dies auf Grund der besonderen Umstände zwingend erforderlich ist. Dabei dürfen Gefahrzeichen nur dort angeordnet werden, wo es für die Sicherheit des Verkehrs erforderlich ist, weil auch ein aufmerksamer Verkehrsteilnehmer die Gefahr nicht oder nicht rechtzeitig erkennen kann und auch nicht mit ihr rechnen muss. Insbesondere Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs dürfen nur angeordnet werden, wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt.“

Satz 3 verlangt eine „besondere örtliche Gefahrenlage“. Satz 4 enthält einen Katalog von Ausnahmen von dieser Anforderung. Wenn die Straßenverkehrsbehörde den Ausnahmenkatalog anwendet, muss sie immer noch Satz 1 beachten. Wenn sie Anordnungen für den Bus-, Fahrrad- oder Fußverkehr stattdessen mit den neuen Zielen der StVO begründet, entfällt die Prüfung nach Absatz 9 vollständig.

Parken von Anwohnenden

Eine weitere Änderung betrifft das Anwohnerparken. Es kann nun in städtischen Quartieren auch ohne nachgewiesenen Parkraummangel vorbeugend angeordnet werden. Die Erweiterung in § 45 Abs. 1b S. 1 Nr. 2a StVO lautet: „Anordnungen nach Satz 1 Nummer 2a sind auch auf Grundlage eines städtebaulich-verkehrsplanerischen Konzepts zur Vermeidung von schädlichen Auswirkungen auf die Umwelt oder zur Unterstützung der städtebaulichen Entwicklung zulässig, sofern die Leichtigkeit des Verkehrs berücksichtigt ist und die Sicherheit des Verkehrs nicht beeinträchtigt wird.“

Antragsrecht der Gemeinden

Gemeinde und Straßenverkehrsbehörde sind unterschiedliche Stellen, auch wenn sie im selben Rathaus sitzen können. Bisher konnte die Kommune Maßnahmen der Straßenverkehrsbehörde nur anregen oder Prüfaufträge erteilen. § 45 Abs. 1j StVO enthält jetzt ein Antragsrecht, das nach Auslegung von Verkehrsjurist:innen einen Anspruch auf eine begründete Entscheidung und ein Klagerecht einschließt: „(1j) Die Gemeinde kann bei der nach Landesrecht zuständigen Behörde Anordnungen nach den Absätzen 1 bis 1i beantragen.“

Ergänzungen im Ausnahmenkatalog des § 45 Abs. 9 StVO

Die folgenden Erweiterungen des Ausnahmenkatalogs vom Nachweis der besonderen örtlichen Gefahrenlage waren auch ohne die neue Ermächtigung in § 6 Abs. 4a StVG möglich: „Nr. 4. Tempo 30-Zonen nach Absatz 1c und kurze Streckenabschnitte (bis zu 500 Meter) zwischen zwei Tempo 30-Strecken, […] 

Nr. 6 Tempo 30-Anordnungen auf überörtlichen und Vorfahrtstraßen im unmittelbaren Bereich von an diesen Straßen gelegenen Fußgängerüberwegen, Kindergärten, Kindertagesstätten, Spielplätzen, hochfrequentierten Schulwegen, allgemeinbildenden Schulen, Förderschulen, Alten- und Pflegeheimen, Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen oder Krankenhäusern,

Nr. 7a Sonderfahrstreifen,

Nr. 9. Bussonderfahrstreifen (Busspuren, Zeichen 245),

Nr. 10. Fußgängerüberwegen (Zebrastreifen, Zeichen 350).“

Die Einzelheiten werden weiter unter im Zusammenhang mit Tempo 30, Busfahrstreifen und Zebrastreifen erläutert.

Was fehlt noch?

Die StVO-Änderung ist am 11. Oktober 2024 in Kraft getreten. Jetzt muss noch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur StVO angepasst werden, um neue unbestimmte Begriffe auszufüllen (z. B. „hochfrequentierte Schulwege“). Die Änderung ist für das Frühjahr 2025 angekündigt. 

Viele Straßenverkehrsbehörden scheuen sich, Möglichkeiten der StVO zu nutzen, solange die VwV-StVO keine konkreten Vorgaben macht. Rechtlich ist das Zögern nicht notwendig.

Was geht, was geht nicht?

Die StVO-Änderung bringt neue Möglichkeiten der Anordnung („Die Straßenverkehrsbehörden können…“) Eine gesetzliche Verpflichtung der Straßenverkehrsbehörden besteht nicht. Das neue Antragsrecht der Gemeinden oder politischer Druck aus der Bevölkerung kann sie zum Handeln bewegen. 

Das können Straßenverkehrsbehörden auch künftig nicht umsetzen: Flächendeckendes Tempo 30 innerorts war politisch unerwünscht. Es ist in der StVO weiterhin nicht vorgesehen, obwohl die neuen Ziele im StVG diese Erweiterung in der StVO zugelassen hätten.

Das geht: Die Gesetzesbegründung des StVG kann bei der Interpretation der neuen StVO nur begrenzt helfen. Sie enthielt von Anfang an widersprüchliche Aussagen zum Verhältnis der alten und neuen Ziele und berücksichtigt nicht die Änderung im Vermittlungsausschuss. Die Auslegung muss sich deshalb in erster Linie auf den Wortlaut und auf den Sinn und Zweck der neuen Vorschriften stützen. Der Bundesrat hat das Bundesverkehrsministerium bereits um Ergänzungen der VwV-StVO um Definitionen, Auslegungshilfen und Richtwerte gebeten. Dazu ist seine Zustimmung erforderlich.

Wenn Maßnahmen auf die neuen Ziele gestützt werden, ist die Leichtigkeit des Verkehrs (nur) als ein Aspekt zu berücksichtigen; die Verkehrssicherheit darf nicht beeinträchtigt werden. Die nachträglich durch den Vermittlungsausschuss eingefügte hervorgehobene Bedeutung der Sicherheit des Verkehrs konnte die amtliche Gesetzesbegründung noch nicht kennen. 

Sie lautet: „Diese Berücksichtigung setzt einen mit vertretbarem Aufwand ermittelten prognostischen Vorher-Nachher-Vergleich hinsichtlich der Auswirkungen auf die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs und eine Abwägung gegenüber den entsprechend ermittelten prognostizierten Effekten – je nach Anordnungsgrund – für die Verbesserung des Umwelt- und Klimaschutzes, die Verbesserung des Gesundheitsschutzes oder die Unterstützung der geordneten städtebaulichen Entwicklung voraus.“

In der Regel werden Bestandsaufnahmen und Verkehrsprognosen für die Abwägung notwendig sein. Eine Prognose, z. B. der Klimaschutzwirkung in eingesparten Kilogramm CO2, ist mit vertretbarem Aufwand nicht leistbar. Auch für Maßnahmen zur Verkehrssicherheit wurde bisher keine zahlenmäßige Vorhersage vermiedener Verkehrsunfälle verlangt. Die Anforderungen dürfen nicht überspannt werden. Auch das Bundesverwaltungsgericht verlangt nicht mehr als eine vertretbare, plausible Prognose.

Die Begründung „zur Unterstützung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung“ setzt nach verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung ein städtebauliches Verkehrskonzept wie einen Radverkehrsplan voraus.

Das ADFC-Dossier zur neuen Straßenverkehrs-Ordnung enthält Steckbriefe für die folgenden acht Maßnahmen:

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