Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club e. V. (ADFC)

Geisterrad nahe Brandenburger Tor

Geisterrad nahe Brandenburger Tor © ADFC Berlin

25.02.2022: #VisionZero-Demo und Geisterrad-Mahnwache in Mitte

Das Jahr ist noch keine zwei Monate alt und wir betrauern bereits den zweiten Menschen, der auf dem Fahrrad fahrend getötet wurde. Am 24.02.2022 kollidierte ein Pkw-Fahrer mit einem 57-jähriger Radfahrer in der Wilhelmstraße in Mitte.

Ein Radfahrer wurde bei einem Verkehrsunfall durch einen Pkw-Fahrer so schwer verletzt, dass er wenige Stunden nach der Kollision verstarb: Am 24.02.2022 befuhren ein 27-jähriger Pkw-Fahrer und ein 57-jähriger Radfahrer gegen 09:45 Uhr die Wilhelmstraße in Mitte, von Norden kommend. Im Kreuzungsbereich mit der Straße Unter den Linden kollidierte der Pkw-Fahrer mit dem Radfahrer, der in der Folge lebensgefährliche Verletzungen erlitt.

Der Unfall

Bei diesem Unfall gab es von Anfang an viele Informationen über den Ablauf und auch über Beteiligte. Das liegt an der prominenten Unfallstelle und an den besonderen Umständen.

Sowohl der Radfahrer als auch der Pkw-Fahrer kamen aus Richtung Norden und wollten offensichtlich nach links in Richtung Unter den Linden abbiegen. Dabei hat der Pkw-Fahrer die Kontrolle über sein Auto verloren, hat den Radfahrer gerammt und ist schließlich in die Poller an der Zufahrt zur Britischen Botschaft gefahren. Der Pkw-Fahrer soll danach von gesundheitlichen Problemen gesprochen haben. Der Radfahrer musste nach seinen schweren Verletzungen vor Ort reanimiert werden und verstarb trotzdem später im Krankenhaus. Der Pkw-Fahrer und eine weitere Person wurden schwer verletzt, zwei Zeugen erlitten einen Schock.

Einzelheiten:

Bei dem tödlich verunglückten Radfahrer handelt es sich um Christian Jäger („Jagger“), der in jungen Jahren sowohl auf der Bahn als auch auf der Straße erste Erfolge im Radsport erzielte. Auch später nahm er erfolgreich an Radrennen teil, z. B. an Meisterschaften der Fahrradkuriere. Aber all seine Routine und Erfahrung als Radfahrer mit Beachtung der Verkehrsregeln haben ihn vor diesem Unfall und seinen Folgen nicht geschützt.

Mit der #VisionZero-Demonstration brachte der ADFC das Geisterrad zum Unfallort. Mit der Fahrraddemonstration bekräftigte der ADFC Berlin die Zielsetzung des Mobilitätsgesetzes, dass sich keine Verkehrsunfälle mit schweren Personenschäden ereignen dürften und dass die Politik im Bund und im Land danach handeln müsse. Bereits beim Start am ADFC-Velokiez beteiligten sich 70 Radfahrende an der Demo.

Mahnwache und Aufstellung des Geisterrads

Bei der Mahnwache waren annähernd 300 Personen anwesend. In seiner Gedenkrede bezeichnete Paul Jäde (Changing Cities) Berlin als Stadt für freie und sichere Bewegung; aber das gelte offensichtlich nicht für Menschen, die ohne Schutzkäfig unterwegs seien. Christian Jäger war als Fahrradkurier und als ehemaliger Radrennfahrer sehr erfahren, aber seine Fähigkeiten hätten ihm nicht geholfen.

Paul Jäde verwies auch auf Artikel 2 Grundgesetz: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“ Christians Tod darf nicht nach der Untersuchung durch die Unfallkommission in einer Schublade der Behörden landen. Für Kraftfahrer:innen forderte er die Pflicht zu regelmäßigen gesundheitlichen Untersuchungen wegen der Fahrtauglichkeit. „Die Gesellschaft muss das Recht des Stärkeren im Straßenverkehr hinter sich lassen.“

In weiteren Beiträgen sprachen Vertreter:innen des Kurierdienstes, für das Christian Jäger unterwegs war, und des (ehem.) TSC Berlin vom großen persönlichen Verlust und erinnerten an einen immer fröhlichen Menschen.

Nach der Ansprache gedachten die Anwesenden mit einigen Schweigeminuten des Getöteten. Anschließend stellten Kerstin Leutloff (Changing Cities) und SuSanne Grittner (ADFC) das Geisterrad auf. Mit Blumen und Kerzen gaben die Anwesenden ihrer Trauer Ausdruck.

Die Verkehrspolitik ist gefordert

Zur Abschlusskundgebung vor dem Verkehrsministerium, an der sich noch fast 100 Radfahrende beteiligten, erläuterte SuSanne Grittner (ADFC) zunächst die Geschichte der Geisterräder – seit 2008 mussten etwa 155 weiße Räder aufgestellt werden. Bei Kundgebungen nach Unfällen mit Lkw fordert der ADFC seit Langem Abbiegeassistenzsysteme mit Kollisionserkennung und Notstopp.

Beim jetzigen Unfall mit einem Pkw verwies SuSanne auf Technik, die in einem modernen Auto mit jeder Menge Sensoren und Software eingebaut ist: Einparkhilfe, Abstandshalter, Tempomat – alles Mögliche, was das Autofahren nicht nur angenehmer, sondern auch sicherer mache. „Auch bei diesem Unfall hätte eine Kollisionserkennung Schlimmeres verhindern können, wenn nämlich die Technik den Pkw bremst, wenn Menschen und Hindernisse in einer Entfernung erkannt werden, die nicht zur aktuellen Geschwindigkeit und Beschleunigung passt, eine Kollision nicht ausgeschlossen ist.“ Ergänzend betonte sie, dass in der Stadt extreme Beschleunigung auf kurzer Strecke überflüssig sei und auch ein Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit (möglichst als Regelfall Tempo 30) verhindert werden könne.

SuSanne forderte Minister Wissing erneut auf: „Machen Sie die VisionZero zu Ihrer Mission Zero! Wir brauchen keine 3.000 Verkehrstoten im Jahr!“ Die genannten Elemente eines ISA-Systems (Intelligent Speed Assistance) könnten Kollisionen verhindern; sie könnten relativ schnell für Neuwagen verpflichtend eingeführt werden, notfalls nur für Deutschland. Mit Erinnerung an Christian Jäger, der für viele ein guter Freund war, betonte sie: „Wir werden diese Forderung mit dir verbinden!“

Zum Abschluss sprach sie nochmals den Minister an: „Herr Wissing, sorgen Sie dafür, dass Kraftfahrzeuge keine Menschen töten!“ Mit einem Dank an die Teilnehmenden und die Polizei für die Sicherung der Demonstration beendete sie die Kundgebung.

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