Katja Diehl im Interview: Wandel als Chance begreifen
Wir haben mit Mobilitätsexpertin Katja Diehl, Autorin des Buches „Raus aus der AUTOkratie“, über die Mobilitätswende gesprochen und warum sie doch noch gelingen kann.
Nach Ihrem Buch „AUTOkorrektur“ folgte nun „Raus aus der AUTOkratie“. Darin fragen Sie, warum die Mobilitätswende nicht endlich Fahrt aufnimmt. Was sind die wichtigsten Gründe?
Deutschland hat beim klima- und sozialgerechten Umbau der autozentrierten Mobilität bislang kaum Erfolge vorzuweisen. Dafür gibt es mehrere zentrale Gründe, die ich im Buch erörtere. Drei der wichtigsten seien genannt.
Erstens: Eine der größten Hürden für eine nachhaltige Mobilitätswende ist die starke politische und wirtschaftliche Verflechtung mit der Automobilindustrie. Sie hat in Deutschland großen Einfluss auf politische Entscheidungen, und es gibt eine Tendenz, bestehende Strukturen zu schützen, statt mutige Schritte in Richtung einer intersektionalen und klimagerechten Mobilitätswende zu gehen.
Maßnahmen wie autofreie Innenstädte oder die Reduktion von Autolagerflächen stoßen oft auf massiven Widerstand von einigen sehr lauten Status-quo-Fans, die ihre Automobilität über die Lebensqualität anderer Menschen stellen. Der Fokus liegt häufig auf der Förderung des motorisierten Individualverkehrs (z. B. durch Subventionen für E-Autos) statt auf umfassenden Konzepten für den Ausbau von ÖPNV, Fahrradwegen oder der Reduzierung des Autoverkehrs. Bisher hat die Ampel keine fossile Autosubvention abgeschafft. (Anm. der Redaktion: Das Interview wurde vor dem Ampel-Aus geführt.)
Zweitens: Politisch gewollte und gesellschaftlich hingenommene Marodierung einstmals guter Bahnsysteme. Deutschland investiert nach wie vor unverhältnismäßig viel in den Erhalt und Ausbau von Straßen, während der öffentliche Nahverkehr, Fuß- und Radwege oder auch die Schieneninfrastruktur vernachlässigt werden. Das führt dazu, dass Alternativen zum Auto für viele Menschen unattraktiv oder schlichtweg nicht vorhanden sind, insbesondere im ländlichen Raum. Ohne eine attraktive, verlässliche und bezahlbare Alternative zum eigenen Auto bleibt der Umstieg für viele Menschen schwer umsetzbar. Schlimmer noch: Aktuell kehren viele, die das können, zum Auto zurück. Dabei werden jene vergessen, die eben keine Wahl haben und auf eine gute Bahn und sichere Radwege angewiesen sind. Diese Menschen haben keine Lobby, die bis in die Räume von Bundesregierung und Verkehrsministerium vorzudringen scheint.
Drittens: Aktuelle Mobilitätsstrategien berücksichtigen oft nicht ausreichend die Bedürfnisse unterschiedlicher sozialer Gruppen. Viele Menschen mit geringem Einkommen, ältere Menschen oder Menschen mit Behinderungen profitieren wenig von den bisherigen Ansätzen, die sich stark auf automobile E-Mobilität und „technologische Lösungen“ konzentrieren, von denen noch nicht mal bekannt ist, wann diese in Deutschland massentauglich sein werden. Zudem fehlen in vielen Regionen barrierefreie und bezahlbare Verkehrsalternativen. Ohne eine umfassende Strategie, die auch soziale Aspekte und Chancengleichheit in der Mobilität adressiert, bleibt die Verkehrswende unvollständig und unsozial.
Diese Faktoren bremsen den Wandel hin zu einer nachhaltigen und sozialgerechten Mobilität aus und verdeutlichen, dass es nicht nur technische Lösungen, sondern einen tiefgreifenden gesellschaftlichen und politischen Wandel braucht.
Niederlande sind weltweit führend bei Radverkehrsförderung
Es sind nicht nur Wirtschaft und Politik, die die Mobilitätswende bremsen und verschleppen.Auch viele Menschen scheinen keine Veränderungen zu wollen oder haben Angst davor. Wie nimmt man sie mit und überzeugt sie vom Mehrwert einer neuen Gestaltung des Straßenraums?
In mehreren europäischen Städten und Ländern haben mutige und innovative Ansätze zur Mobilitätswende gegen Widerstände Erfolg gezeigt. Beispiele aus den Niederlanden, Paris und Skandinavien verdeutlichen, wie politische Entschlossenheit, Bürgerengagement und kluge Infrastrukturplanung zu nachhaltigen Ergebnissen führen können.
Erstens: Die Niederlande, insbesondere Städte wie Amsterdam und Utrecht, sind weltweit führend bei der Förderung des Radverkehrs. Trotz anfänglicher Widerstände in den 1970er-Jahren, als Autos zunehmend die Städte dominierten, entwickelte sich eine starke Bürgerbewegung gegen die hohe Zahl von Verkehrstoten. Die Bewegung forderte sichere, nachhaltige Mobilität. Die Politik reagierte mit umfassenden Investitionen in Fahrradwege, autofreie Zonen und eine Radinfrastruktur, die heute ein integraler Bestandteil des täglichen Lebens ist. Der Protest war nicht „zahm“, sondern enorm fordernd, laut und unübersehbar. Es legten sich Tausende Menschen auf die Straße, sogar Barrikaden brannten. Ein Beispiel, das zeigt, dass friedlicher, aber eben auch nachdrücklicher Protest wirkt.
Der Erfolg? Die Menschen in den Niederlanden bekamen breite, gut markierte Fahrradwege und eigene Ampelsysteme, starke politische Maßnahmen und finanzielle Mittel zur Förderung des Radverkehrs sowie nahtlose Verbindungen zwischen Fahrradnutzung und öffentlichem Nahverkehr.
Katja Diehl ist Mobilitätsexpertin und Autorin der Bücher „Raus aus der AUTOkratie“ und „AUTOkorrektur“. Als Advokatin für eine gerechte Verkehrswende setzt sie sich besonders für benachteiligte Gruppen wie Kinder, Menschen mit Behinderungen, Menschen in Armut und ältere Menschen ein. In ihren Werken und öffentlichen Auftritten analysiert sie die Hindernisse der Mobilitätswende in Deutschland und zeigt anhand internationaler Beispiele wie Paris, Amsterdam und Kopenhagen Wege zu einer erfolgreichen Transformation auf. Ihr Fokus liegt dabei auf der Entwicklung ganzheitlicher Mobilitätsstrategien, die soziale Aspekte und Chancengleichheit in den Mittelpunkt stellen.
Paris punktet mit ambitionierter Mobilitätswende
Zweitens: Paris hat unter der Führung seiner Bürgermeisterin Anne Hidalgo in den letzten Jahren eine ambitionierte Mobilitätswende eingeleitet. Die Stadt hat das Ziel, den Autoverkehr stark zu reduzieren und stattdessen den Raum für Fußgänger:innen, Radfahrer:innen und den öffentlichen Nahverkehr zu erweitern. Hier wurde Hidalgo sogar wiedergewählt, weil die Bevölkerung durch die rasche und entschiedene Transformation schnell erleben konnte, wie groß die Vorteile für Einwohner:innen der einst lauten, emissionsbelasteten und für alle außerhalb des Autos gefährlichen Stadt sind.
Highlights sind:
- autofreie Zonen: Zentrale Stadtteile wie der Champs-Élysées werden schrittweise autofrei gestaltet.
- der Ausbau der Radinfrastruktur: Paris hat in den letzten Jahren massiv in den Bau sicherer, durchgehender Fahrradwege investiert, darunter das „RER V“, ein Fahrradschnellwegenetz, das die gesamte Metropolregion umfasst.
- die Reduktion von Autolagerflächen: Parkplätze werden konsequent zurückgebaut, um mehr Platz für Grünflächen, Fußgängerwege und Radwege zu schaffen. Paris zeigt, wie entschlossene politische Führung und konkrete Maßnahmen den Wandel in einer Metropole vorantreiben können, auch gegen massiven Widerstand von Autolobby und Teilen der Bevölkerung.
Pioniere der nachhaltigen Mobilität und Verkehrsplanung
Drittens: Skandinavische Länder sind Pioniere im Bereich der nachhaltigen Mobilität und Verkehrsplanung. Kopenhagen ist ein herausragendes Beispiel für die Förderung des Radverkehrs, während Oslo sich durch die Reduktion des Autoverkehrs und die Elektrifizierung des öffentlichen Nahverkehrs auszeichnet. Manche skandinavische Stadt wird für dieses Handeln mit Jahren ganz ohne Verkehrstote belohnt.
Kopenhagen verfolgt eine „Fahrrad first“-Strategie, bei der Fahrräder das bevorzugte Verkehrsmittel sind. Breite Fahrradwege, Vorrang für Radfahrer:innen an Ampeln und Radparkhäuser fördern den Umstieg vom Auto auf das Fahrrad. Über 50 Prozent der Kopenhagener:innen nutzen das Rad für den Arbeitsweg. Nicht, weil sie „Ökos“ sind, sondern weil es ihnen leichtgemacht wird, auf diese Art unterwegs zu sein.
Oslo hat den Autoverkehr in der Innenstadt stark reduziert und strebt eine nahezu autofreie Innenstadt an. Gleichzeitig investiert die Stadt in Elektrobusse und den Ausbau von Straßenbahnen. Durch das „City Bike“-System und die Förderung von Elektromobilität gelingt es, die Stadt nachhaltiger zu gestalten.
Ich habe durch die Interviews im zweiten Buch viel Inspiration erhalten. Es braucht eigentlich nicht viel für diese Transformation, die den Menschen im Fokus hat. Entschlossenheit der politischen Führung: Ein klarer politischer Wille, Veränderungen auch gegen Widerstände durchzusetzen, ist entscheidend. Eine langfristige Infrastrukturplanung: Städte und Länder setzen auf ganzheitliche Mobilitätsstrategien, die Radverkehr, Fußgänger:innen, E-Mobilität und öffentlichen Nahverkehr integrieren. Und Bürgerbeteiligung: Die Einbeziehung der Bevölkerung und der Dialog mit Bürger:innen spielt eine Schlüsselrolle, um Akzeptanz für die Veränderungen zu schaffen.
Diese Beispiele zeigen, dass die Mobilitätswende möglich ist, wenn Politik und Gesellschaft konsequent zusammenarbeiten und den Wandel als Chance begreifen.
Bereitschaft zur Veränderung wächst
Was lässt Sie trotz des schleppenden Vorwärtskommens weiter daran glauben, dass die Mobilitätswende gelingen kann?
Ich spreche nicht von Hoffnung. Hoffnung ist mir zu passiv und gegenüber Menschen im Globalen Süden einfach nicht angebracht, die schon auf der Flucht sind oder ihre Lebensorte verloren haben. Ich rede von Zuversicht. Diese schöpfe ich aus mehreren Quellen. Was mir dabei größter Antrieb ist? Die Ungerechtigkeit des bestehenden Systems! Ich sehe mich als Advokatin und Pressesprecherin von Kindern, Behinderten, Menschen in Armut, Alten.
Um konkret zu werden, benenne ich aber gern drei Quellen. Erster Punkt: Die gesellschaftliche und politische Bereitschaft zur Veränderung wächst. Das zeigen Städte wie Paris. Wenn eine Politikerin sich in den Dienst der Menschen in ihrer Stadt stellt und diese zu ihren Gunsten umgestaltet, gibt es immer Widerstände – aber auch eine schnelle Begeisterung und dann Gewöhnung an die neuen Rahmenbedingungen. Flächen an Menschen zurückzugeben, Autoverkehr zu reduzieren und die Lebensqualität in den Städten zu steigern, ist zudem auch immer positiv für die Klimaresilienz einer Region. All das ist für mich Beweis, dass eine Verkehrswende gelingen kann, auch gegen anfängliche Widerstände.
Und damit sind wir auch schon beim zweiten Punkt: Die großen globalen Herausforderungen und die Verantwortung von uns im Globalen Norden als Verursachende des Klimawandels. Dies ist ein massiver Impuls, die Transformation endlich voranzutreiben. Zumal wir keine grundlegend neuen Konzepte brauchen, sondern bereits erfolgreiche Ansätze übernehmen könnten – wie die zuvor benannten.
Letztlich ist meine Zuversicht aber auch tief verwurzelt in meinem Glauben an die Menschen und unsere Fähigkeit zur Veränderung. Nicht zuletzt – und das mag jetzt absurd klingen: Die massive Abwehr bestimmter Gruppen gegen meine Arbeit, aber auch die positive Resonanz auf meine Bücher und Vorträge motivieren mich.
Interview: Barbara Lücke
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