Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club e. V. (ADFC)

Umverteilen heißt Umdenken

Prof. Dr. Jana Kühl lehrt an der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften als bundesweit erste Professorin für Radverkehrsmanagement. Das ADFC-Magazin Radwelt hat mit ihr über Forschung, Lehre, den Radverkehr und das Klimapaket gesprochen.

Prof. Dr. Jana Kühl lehrt an der Ostfalia Hochschule für  angewandte Wissenschaften.
Prof. Dr. Jana Kühl lehrt an der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften. © Ostfalia/Matthias Nickel

An der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften lehrt Prof. Dr. Jana Kühl als bundesweit erste Professorin für Radverkehrsmanagement und sagt: „Ich empfinde es als besondere Motivation, mit meiner Lehre und Forschung dazu beitragen zu können, dass zukünftige Verkehrsplanerinnen und -planer dafür sensibilisiert werden, den Radverkehr noch mehr mitzudenken.“

Kühl untersucht unter anderem, wie Alltagsmobilität und die Wahl des Wohnortes zusammenspielen und will herausfinden, welche Wirkung infrastrukturelle Maßnahmen im Radverkehr – wie Radschnellwege – auf die Motivation haben können, im alltäglichen Verkehr auf das Fahrrad umzusteigen. Mehr im Interview

Frau Kühl, Sie sind die erste Professorin für Radverkehrsmanagement. Was sind Ihre Ziele?

Mit den Radverkehrsprofessuren wurden Kapazitäten geschaffen, Radverkehrsbelange in Forschung und Lehre gezielt anzugehen. Wir brauchen mehr Erkenntnisse aus der Forschung als Entscheidungshilfe in der Planung und um Argumente für den Radverkehr zu stärken. Ziel ist es, aus der Praxis Forschungsfragen aufzugreifen und Vorhaben wissenschaftlich zu begleiten. Inhaltich geht es darum, Bedarfe und Konfliktfelder zu identifizieren, um hierauf aufbauend gute Radverkehrslösungen zu entwickeln.

In der Lehre wurde der Radverkehr bisher vernachlässigt. In der Folge fehlt es an ausgebildeten Fachkräften, um eine Radverkehrsförderung in die Umsetzung zu bringen. An der Ostfalia können sich Studierende im Verkehrswesen auf Radverkehrsthemen ausrichten. Perspektivisch wird Radverkehr dann ein möglicher Schwerpunkt im Studium.

Zusätzlich werden Radverkehrsthemen in die Studiengänge für Tourismus, Stadt- und Regionalentwicklung, Sport und Medien eingebunden. Dadurch werden zukünftige Fach- und Führungskräfte aus unterschiedlichen Bereichen für Radverkehrsbelange sensibilisiert und die Kommunikation zwischen Radverkehrsplanung und z. B. Tourismusmanagement oder Wirtschaftsförderung erleichtert.

Welche Schritte sind notwendig, damit der Radverkehr nicht mehr nur als ein Randthema im Verkehrswesen wahrgenommen wird?

Die Professuren sind ein wichtiger Schritt, um Radverkehrsbelangen mehr Nachdruck zu verleihen. Für Engagierte im Radverkehr war dieser Schritt längst überfällig. Nun zeigt sich, dass die Professur in den Medien als brisantes Ereignis aufgegriffen wird. Sich dezidiert um Radverkehr zu kümmern, sorgt immer noch für Verwunderung. Demnach muss die Wahrnehmung des Radverkehrs als ernstzunehmende Mobilitätslösung weiter gestärkt werden, genauso wie wir sichere und durchgängige Infrastrukturen brauchen, damit Radverkehr funktioniert.

Leider stecken wir in Aushandlungen über Kleinklein fest, anstatt Radverkehrsförderung so engagiert anzugehen, wie es notwendig ist, um den verkehrlichen und ökologischen Problemen der Gegenwart zu begegnen. Es braucht eine Politik, die Radverkehrsförderung entschlossen verfolgt, wie es in anderen Ländern längst passiert. Dabei lassen sich Konflikte nicht weiter umschiffen. Ohne Aushandlung lässt sich die Vormachtstellung des Kfz-Verkehrs in den Köpfen und auf der Straße nicht aufbrechen.

Das Auto ist für viele vor allem deshalb praktisch, weil die Infrastruktur für das Auto gestaltet ist. Wie lässt sich eine gerechtere Verteilung des öffentlichen Raums planen?

Der erste Schritt zur gerechteren Umverteilung ist ein Umdenken. Abgelegene Neubausiedlung, dezentrale Supermärkte oder Shopping-Center, breite Straßen mitten durch die Innenstädte – all dies gehört zum Alltag und lässt fast nur das Auto als Mobilitätsform zu. Gerechter wäre es, wenn das Auto maximal eine Option neben dem Umweltverbund ist. Das kann gute Planung leisten, vor allem im Neubau. Im bestehenden Siedlungsraum ist eine Neuaufteilung der Verkehrsflächen unabwendbar, wenn der Fuß- und Radverkehr eine Chance bekommen soll. Das stößt auf Protest, wie immer, wenn man Selbstverständliches und bequem Gewordenes infrage stellt. Häufig sind Ängste und Unsicherheiten hier der Auslöser.

Positive Erfahrungen tragen dazu bei, Bedenken zu zerstreuen. Durch Leuchtturmprojekte können Alternativen erlebbar gemacht werden. Dabei sind bestehende Infrastrukturen durchaus veränderbar. Dass sieht man gut an den Pop-up Radwegen. Auch die Umwidmung von Straßenzügen in Fahrradzonen und die Abgrenzung von Superblocks wie in Barcelona erfordert eher ein Umdenken als größere Baumaßnahmen. Die Beispiele zeigen, eine gerechtere Neuaufteilung ist machbar ohne dass der Verkehr zusammenbricht. Es wird in Deutschland nur leider selten gewagt.

Deutschland gilt als Autoland. Ist unsere Gesellschaft bereit für die Verkehrswende, bzw. was muss dafür getan werden, damit die Verkehrswende möglich wird?

Je öfter Deutschland zum Autoland erklärt wird, desto wahrer erscheint es. Genauso können aber auch andere Zuweisungen entstehen. So lässt sich auch das einseitige Denken von Mobilität als Automobilität aufweichen, auch wenn es mühsam ist. Ein Weg wäre eine Kombination aus Problembewusstsein, Zurücknahme der Privilegien des Pkw-Verkehrs und gute Angebote als Gegenentwurf.

Autofahren erscheint gerade in ländlicheren Räumen fast als etwas Natürliches, während eine andere Mobilität kaum denkbar sind. Und tatsächlich fehlt es oft an Alternativen, da versäumt wurde, welche zu schaffen. Es müssen Angebote her, wie durchgängige sichere Radwegenetzte und Möglichkeiten zur Kombination von Fahrrad und ÖPNV. Gleichzeitig wird die Erforderlichkeit einer Verkehrswende gerne verdrängt. Das Auto ist einfach zu bequem, als dass man umsteigt.

Es muss klarwerden, dass wir nicht so weitermachen können, aber nicht mit erhobenen Zeigefinger, sondern mit positiven Bildern, wie autoarme Räume zum Flanieren und Verweilen. Diese Bilder können auch die Zurücknahme der Privilegien des Autoverkehrs erleichtern. Beim Umstieg funktioniert vieles über Nachahmung. Wenn mehr Menschen Bus oder Rad fahren, verstärkt sich der Wandel von selbst. Parallel helfen neue Vorbilder, sinnbildlich ein James Bond auf dem Rennrad oder die aufstrebende Managerin auf dem Urban Bike.

Die Regierung hat vor einem Jahr im Rahmen des Klimapakets Gelder für die Förderung von guter Radinfrastruktur angekündigt. Dennoch hat man nicht den Eindruck, dass Kommunen jetzt fieberhaft Radinfrastruktur planen. Woran liegt das?

Wie sich zum Beispiel aus dem ADFC-Fahradklimatest ableiten lässt, wird das Radfahren regional unterschiedlich gefördert. Unterschiede im Stellenwert des Fahrrades sind unter anderem beeinflusst durch topographische Gegebenheiten, durch die sich das Radfahren besser oder schlechter gestaltet. Und auch in kleinteiligen Siedlungsräumen ist die Radverkehrsförderung eher schwieriger, aber dank Elektrofahrrädern dennoch eine Lösung. Wichtiger ist aber vermutlich das Zusammenspiel zwischen lokalen Initiativen für den Radverkehr, der Offenheit der Bevölkerung sowie engagierten Akteuren und Stakeholdern an entscheidenden Stellen in Politik, Planung und Öffentlichkeit.

Viele Kommunen sind gewillt, etwas zu tun, es fehlt ihnen aber an Kapazitäten zur Umsetzung. In anderen Kommunen fehlt der politische Rückhalt und Maßnahmen werden blockiert. Gelingt es, durch starke Akteure wiederholt Maßnahmen anzustoßen, erfährt der Radverkehr eine andere Wahrnehmung und gewinnt an Dynamik.

Mit Blick auf den Modal Split lassen sich zudem regionale Unterschiede in der gesellschaftlichen Ausprägung der Auto-Affinität vermuten. In Regionen, die von der Automobilindustrie geprägt sind und etwa auch in Teile des Ruhrgebiets erscheint Radfahren immer noch als Randphänomen. Hier ist viel aufzuholen, während andere Kommunen schon neue Wege geschaffen haben und hiervon profitieren.


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