So werden Verwaltungen agiler und handlungsfähiger
Felix Weisbrich, Leiter des Straßen- und Grünflächenamts in Friedrichshain-Kreuzberg, setzt sich mit agilen Arbeitsansätzen und einer schnelleren Handlungsfähigkeit für die Verkehrswende im Bezirk ein. Hier erklärt er die Methode und gibt Tipps.
Felix Weisbrich ist seit 2019 Leiter des Straßen- und Grünflächenamts in Friedrichshain-Kreuzberg und setzt sich mit agilen Arbeitsansätzen und einer schnelleren Handlungsfähigkeit für die Verkehrswende im Bezirk ein. Schlüssel für ein erfolgreiches Gelingen war zu Beginn ausreichend Personal, um als Leitung für neue Vorhaben zu werben, die Mitarbeitenden zu motivieren und ein taktisches und agiles Vorhaben umzusetzen.
Wie werden Infrastrukturmaßnahmen in Friedrichshain-Kreuzberg priorisiert und wie werden Entscheidungen zu Projekten getroffen?
Wir richten uns zum einen nach dem bezirklichen Radverkehrsplan, zum anderen sprechen wir uns mit der landeseigenen Gesellschaft InfraVelo ab. Darüber hinaus richten wir uns bei den Priorisierungen auch an der aktuellen Situation aus. Wenn wir zum Beispiel freie Kapazitäten haben, wird das nächste Projekt gemeinsam im Team entschieden.
Dabei stellen wir uns immer folgende Fragen: Welches Projekt ist wo am sinnvollsten? Wo leidet die Verkehrssicherheit am meisten? Geben aktuelle Vorkommnisse wie Unfälle eine Richtung vor? Agiles Arbeiten heißt Prioritätenlisten nicht einfach stur abzuarbeiten, sondern immer auch zu überprüfen, ob die gesetzten Prioritäten in der Realität noch Bestand haben.
Wir haben in den letzten Jahren die Vorgehensweise, wie wir miteinander arbeiten, stark verändert. Motivation, agiles Handeln, Führungskompetenzen und Führungskultur, aber auch Ressourcen und Personal spielen nun ausschlaggebende Rollen.
Mit mehr Ressourcen haben wir den Grundstein gelegt, Projekte angehen zu können. Mit klaren Ansagen, wie agiles Arbeiten gehen kann, haben wir viele mitnehmen können – die jungen, eher unerfahrenen, aber motivierten Mitarbeiter*innen und auch die alten Erfahrenen, die viele Prozesse aus dem Effeff kannten.
Durch die Zusammenarbeit haben wir es geschafft, innovative Projekte anzugehen – auch mit Kolleg*innen, die selbst nicht unbedingt Fahrrad fahren und in der Verkehrsausrichtung eher konservativ sind. Sie konnten sich inhaltlich ebenfalls begeistern und waren hochmotiviert – auch weil in den anderen Bereichen und nicht nur im Bereich Radverkehr und Mobilitätswende die Arbeit getan wurde. Es ist enorm wichtig, nicht nur einseitig zu denken und das gleichzeitige interdisziplinäre Arbeiten zwischen den Teams „Mobilitätswende“ und „Planen und Bauen“ zu stärken.
Aktuell fehlt es uns an Personal in der Straßenverkehrsbehörde, um Projekte zügig anordnen zu können, denn notwendig sind nicht nur Planer*innen, sondern auch (Verwaltungs-)Jurist*innen, Techniker*innen oder Mitarbeiter*innen in der Bauleitung.
Setzen Sie auf externes Know-how bei der Durchführung von Projekten?
Um Projekte umsetzen zu können, müssen die Ressourcen zwangsläufig auch von außen kommen, da unsere Kapazitäten – trotz der Aufstockung – zu gering sind. Verwaltungen sind meist schon am Limit damit, die kommunale Pflichtaufgabe der Verkehrssicherung zu bewältigen und sollen dann parallel dazu auch noch die Transformation des Verkehrs anstoßen.
Aber nicht nur in den Verwaltungen fehlen die Kapazitäten, wir haben auch zu wenig Tiefbaufirmen mit verfügbaren Kapazitäten und auch für die Bauüberwachung und Firmenanleitung fehlt ausreichend Personal.
Projekte werden bei uns so oft wie möglich intern betreut. Die Transformation des Verkehrs wird uns noch jahrzehntelang beschäftigen und dafür benötigen wir das Wissen und die Kompetenz in den Verwaltungen – das muss aber auch gezielt aufgebaut werden.
Werden Projekte extern vergeben, lässt sich das Know-how nicht aufbauen, und es entsteht keine „Ownership“ am Projekt. Damit meine ich, dass sich unsere Planer:innen und Teams dann nicht so stark mit ihren Projekten identifizieren, wenn diese extern und nicht im internen Team verankert sind.
Dennoch läuft es beim aktuellen Personalmangel auf eine Mischung zwischen externen und internen Ressourcen hinaus. Dabei sollte man aber immer darauf achten, dass das Wissen in der Verwaltung vorhanden ist. Die Arbeit in der Verwaltung wird gerade durch Mitgestaltungsmöglichkeiten attraktiver, wenn Mitarbeitende sich mit den Projekten identifizieren, ihr Wissen erweitern und hier ihre Ideen einbringen können, tut das nicht nur den Projekten gut, es macht auch die Personalgewinnung einfacher.
Budgets für Fortbildungen und Schulungen sind daher wichtig, auch wenn sie bei uns aktuell leider fehlen. Deshalb haben wir entschieden, dass wir unser Preisgeld für den Deutschen Fahrradpreis 2021 für eine Exkursion nach Utrecht mit Mitarbeitenden einsetzen werden, um mehr über die dortigen Konzepte und Ansätze zu lernen.
Was sind Hürden in der Verwaltung für taktische Maßnahmen und agiles Arbeiten?
Verwaltung funktioniert nach dem Grundsatz der Fehlerfreiheit und Verlässlichkeit, nur um dann im Ergebnis häufig weder das eine noch das andere besonders gut zu erfüllen. Darüber hinaus führen dabei ewige Rückversicherungen zu überlangen Planungsprozessen.
Taktische Vorgehen hingegen beschreiben situative Entscheidungen, die scheinbar weniger verlässlich sind, weil die Arbeitsschritte zeitlich überlappend laufen und im Laufe des Prozesses sogar angepasst und überarbeitet werden. Das heißt, im Laufe eines agilen Prozesses sind wir vielleicht methodisch nicht so „verlässlich“, wie bei zwingend eingehaltenen Prozessschritten, aber wir sind am Ende schneller und erfolgreicher.
Und so kommen wir unserem eigentlichen Auftrag näher, nämlich der öffentlichen Daseinsvorsorge, für die wir sichere und nachhaltig resiliente Infrastruktur zu bauen haben. Der große Vorteil bei agilen Prozessen ist also, dass wir Zustände, die dysfunktional und unsicher sind, schneller verändern können.
Der stoisch eingehaltene Grundsatz der absoluten Fehlerfreiheit würde uns zwingen, in häufig absurden Zeitläufen zu planen, nur um dann vielleicht zu erleben, dass in der Realität diese Planung trotz aller Zeitdauer nicht besonders gut funktioniert. Und solange müssten die Bürger*innen mit der dysfunktionalen und unsicheren Infrastruktur weiterleben. Das finde ich verantwortungslos. Wir sagen häufig: Erst einmal temporär testen, dann mit den gewonnenen Erkenntnissen schnell planen und umsetzten.
Der Status Quo wird oft zu wenig hinterfragt. Wer hat die Ist-Situation geplant und was sollte damit erreicht werden? Viel zu oft ist der Status Quo weit weg vom Idealzustand, dennoch er als gegeben akzeptiert. Für den Umbau gelten dann aber plötzlich andere Grundsätze – er muss perfekt sein. Das ist in meinen Augen der falsche Ansatz: Der Umbau muss vor allem die aktuelle Situation verbessern. Heute müssen sich die meisten Verwaltungen nicht für die Ist-Situation rechtfertigen, sondern verfolgen die Haltung: „Wenn wir ein Projekt machen, dann machen wir es richtig“.
Angesichts der riesigen Herausforderungen, vor denen wir heute stehen, ist es inzwischen aber besser, wenn etwas „besser gemacht wird“, als wenn es „gar nicht gemacht wird“. Verwaltungen und die politische Führung müssen die eigene Verantwortlichkeit klar und ernsthaft anerkennen. Denn Verwaltung hat Verantwortung und die müssen wir wahrnehmen. Wo diese Einsicht fehlt, ist ein Change-Management-Prozess in den Verwaltungen notwendig.
Es fehlt eine gelebte positive Fehlerkultur – nicht nur in den Verwaltungen in Deutschland. Die Angst davor Fehler zu machen, macht die Prozesse starr und langwierig. Wir machen Fehler, immer. Wichtig ist, aus ihnen zu lernen, sie auszuwerten und Verbesserungen anzugehen.
Wir haben aus der Wahl der Protektionselemente gelernt, wir haben auch aus der Klage zur Rechtmäßigkeit der Pop-up-Radwege gelernt. Es waren keine einfachen Lernprozesse, aber wir haben gelernt. Deshalb bin ich der Meinung: Verwaltungen müssen etwas wagen, auch kalkulierte Risiken eingehen und ausprobieren können, sonst sind sie zu langsam.
Was bedeutet taktisches Vorgehen für die Beteiligung von Bürger*innen?
Auch Beteiligung muss heute agiler funktionieren, kürzere Prozesse haben und die Auswirkungen schneller sichtbar sein. Durch taktische Maßnahmen wie temporäre Straßenöffnungen ausschließlich für Fuß- und Radverkehr wird die Beteiligung und die teilweise Umsetzung zeitgleich durchgeführt. Gleichzeitig ist auch die Evaluation Teil des Beteiligungsprozesses.
Bei den Pop-up-Radwegen in Berlin ist das genauso gewesen. Wir haben nach der zeitlich befristeten Einrichtung Rückmeldungen gesammelt und Straßenbefragungen gemacht und konnten so Verbesserungen für die Maßnahmen erzielen.
Bei sicherheitsrelevanten Projekten hingegen steht die Sicherheit im Vordergrund, da haben nicht alle ein Mitspracherecht. Beteiligung sollte in diesen Fällen zu präzise definierten Fragen stattfinden: „Wie kann das Projekt verbessert werden?“. Es darf nicht darum gehen, ob das Projekt überhaupt durchgeführt werden soll, denn am Ende muss die Verwaltung dafür die Verantwortung übernehmen, nicht die Bürger*innen.
Die Beteiligung von Bürger*innen ist wichtig, sie darf aber nicht dazu genutzt werden, um Prozesse zu verzögern oder sich zu notwendigen Projekten nicht verhalten und nichts ändern zu müssen. In Friedrichshain-Kreuzberg werden aktuell sogenannte Realbeteiligungen durchgeführt, bei denen z. B. das Görlitzer Ufer gesperrt und erlebbar gemacht wird und vor Ort in Workshops und Befragungen Rückmeldungen eingeholt werden. Durch solche niedrigschwelligen Prozesse bei der Beteiligung können alle Nutzer*innen angesprochen werden.
Zusammengefasst, was braucht es aus Ihrer Sicht für erfolgreiche und schnelle Umsetzung von Projekten? Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie aus Ihrer Arbeit im Bezirk?
Kurz zusammengefasst wären das folgende Punkte. Erstens Politische Führung: Mit klarer Haltungen zu Prioritäten und Zielkonflikten. Zweitens Motivation. Durch gute Anleitungen und kooperative Erarbeitung von Projekten. Drittens Verantwortungsannahme. Es muss den Verwaltungen bewusst sein, dass sie Verantwortung tragen und sie müssen diese Verantwortung auch annehmen. Auch und gerade für Dinge, die nicht verändert werden, obwohl sie es dringend müssten.
Viertens Personal und Ressourcen: Die Mobilitätswende ist Handarbeit und braucht gute Leute. Fünftens Musterlösungen: Das Erarbeiten von eigenen Handreichungen und Leitfäden, die dann situativ angepasst werden, vereinfacht die Arbeit. Sechstens schrittweise Planung statt „aus einem Guss“: Wenn Elemente vorläufig angeordnet werden, lässt sich in Echtzeit beobachten, ob und wie sie funktionieren. So lassen sich Maßnahmen nachjustieren, ausweiten und verstetigen – und wir sind schneller fertig.
Unter Punkt Sieben ist mir das Stichwort Fehlerkultur wichtig: Wir müssen akzeptieren, dass der Mut schnell zu entscheiden mit der Akzeptanz einer gewissen Fehlerquote einhergeht. Wir müssen lernen, dass Perfektion, oftmals in unverantwortlicher Weise, zu lange dauert und dass wir mehr erreichen, wenn wir völlig unhaltbare und gefährliche Situationen zunächst schrittweise und spürbar verbessern, um sie anschließend zu komplettieren.
Das Interview und mehr zur erfolgreichen Umsetzung von Schnellausbaumethoden finden sich in der Broschüre „InnoRADQuick - Schnell, innovativ und gut fürs Klima: So gelingt der fahrradfreundliche Umbau“.
Sie lässt sich im blauen Servicekasten herunterladen.
Das Projekt InnoRADQuick wird vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz und dem Umweltbundesamt im Zuge der Verbändeförderung gefördert.
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