Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club e. V. (ADFC)

Gunnar Fehlau steht in Fahrradkleidung, vor ihm sein Lastenrad, mit dem er auf Workpacking-Tour ist.

Gunnar Fehlau mit seinem Workpacking-Lastenrad und Gepäck. © www.pd-f.de / Kay Tkatzik

Interview: Gunnar Fehlau über seine Workpacking Tour

Gunnar Fehlau ist seit Januar 2023 mit seinem Elektro-Lastenrad unterwegs und arbeitet vom Fahrrad aus. Er fährt damit zu Messen, Events und Geschäftsterminen, unterwegs ist sein Büro potenziell überall dort, wo er einen Internetanschluss findet.

Meistens übernachtet er im Zelt, manchmal kommt er bei Bekannten unter. Workpacking nennt er das – eine Wortschöpfung aus „Work and travel“ und „Bikepacking“. Work and travel ist eine Reiseform, bei der unterwegs gearbeitet wird, um Reise und Leben zu finanzieren. Das „packing“ kommt vom Bikepacking, dem Radreisen mit den allernötigsten Ausrüstungsgegenständen.

Gunnar Fehlau, Leiter des Pressedienst Fahrrad, ist eigentlich bekannt für seine Overnighter, Kurzreisen mit Rad und Zelt mit meist nur einer Übernachtung, worüber er auch ein Buch geschrieben hat. Wir erreichen ihn an einem regnerischen und kühlen Oktobertag in einer Supermarkt-Bäckerei in Meuselwitz in der Nähe von Dresden.

Hallo Gunnar, nach einem sommerlichen September hat jetzt der Herbst Einzug gehalten. Wie fühlst du dich in Hinblick auf den nahenden Winter? Du hast ja bereits einen auf deiner Tour erlebt.

Wenn ich die Tour in einer idealen Welt geplant hätte, wäre ich von Oktober bis Oktober gefahren. Weil jetzt passiert, was ich nicht will: Vor einer Woche war noch schönster Sommer, und jetzt bin ich bei fies kühler und nasser Witterung unterwegs – aber das ist Teil des Spiels.

Wie bist du auf die Idee gekommen, ein Jahr lang auf und mit dem Rad zu leben und zu arbeiten?

In der Corona-Zeit entstand ein Defizit – ich hatte viele Leute nicht getroffen, vieles nicht erlebt. Dann waren viele Leute mit dem Van unterwegs und ich habe bei deren Urlaubsbildern immer gedacht, wie toll wäre es, da mit dem Rad unterwegs zu sein. Hinzu kamen mein 50. Geburtstag und dass unsere Kinder ausgezogen sind. Da darf man sich schon die Frage stellen, wie will ich eigentlich leben? Wenn man als Elternteil nicht mehr in diesem 24/7-Modus unterwegs ist, sondern die Kinder nur noch zu Besuch kommen. So hatte ich im August letzten Jahres die Idee: Ich mache Vanlife ohne Van und lebe digitalnomadisch mit dem Rad. Ich habe die Idee mit meiner Frau und meinen Kolleg:innen besprochen und das Projekt mit sehr kurzer Planung angeschoben. Jetzt bin ich bei Tag 281. Am 21. Dezember habe ich einen Zahnarzttermin, das heißt, am 20.12. rolle ich ganz entspannt wieder in Göttingen ein. Dann werde ich 353 Tage unterwegs gewesen sein.

Fährst du immer nur von Termin zu Termin, oder rollst du zwischendurch auch einfach ein paar Tage nach Lust und Laune durch die Gegend?

Nein, überhaupt nicht. Ich hatte die romantische Vorstellung, dass ich ein, zwei Termine habe und der Rest wird ein urlaubsmäßiges, eher zielloses Mäandern. Aber das ist nicht der Fall. Weil ich ja arbeite, brauche ich Internet, und bei schlechtem oder kaltem Wetter auch ein trockenes Plätzchen. Es macht halt einen Unterschied, ob ich Vanlife im Van mache oder ohne Wetterschutz auf einem Cargobike unterwegs bin. Im Sommer konnte ich im Klappstuhl, wenn es Netz gab, in den Elbauen ganz entspannt arbeiten. Jetzt braucht es eine entsprechende Logistik: Gerade sitze ich in einer Bäckerei, wo man mich netterweise bleiben lässt. Mit Internet und Kaffee ist die Welt in Ordnung, aber wenn mich das Personal zum Beispiel doof finden würde, hätte ich ein Problem.

Ich muss mir also morgens schon gut überlegen, wie ich den Tag strukturiere. Normalerweise hat man einen Aktionsradius von 500 Kilometern oder mehr in 24 Stunden, dank Bahn. Ich arbeite aber im Schnitt sechs Stunden und fahre 50 Kilometer pro Tag. Ich brauche etwa die zehnfache Zeit, um Strecken zurückzulegen. Wenn ich einen Termin reinbekomme, muss ich also gucken: Wie lange brauche ich da hin, wie beeinflusst das nachfolgende Termine? Es ist eine riesige Logistikveranstaltung. Ich hatte schon kurzfristige Termine mit der Folge, dass danach acht oder neun Wochen Planungen obsolet waren. Um das zu vermeiden, mache ich deshalb auch Geschäftsreisen und fahre mit dem Zug zu einem Termin. Ich glaube, ich bin bislang keine zwei Wochen ununterbrochen gefahren, weil immer irgendwas dazwischenkam.

Sind deine Tage klar gegliedert in Freizeit und Arbeit?

Nicht wirklich. Es gibt diese Gleichzeitigkeit von Alltag, Arbeit und Abenteuer. In den fünf Stunden, die dieser Tag alt ist, war ich schon im Hotel, wo ich mich übers Wochenende mit meiner Frau getroffen habe, habe dort gefrühstückt und etwas gearbeitet. Dann bin ich ein paar Stunden gefahren, über Straßen, Feldwege, Kopfsteinpflaster, habe unterwegs vom Rad aus mein Wochenmeeting über Zoom gehabt, bin einmal nassgeregnet worden und jetzt sitze ich mittags in einer Supermarkt-Bäckerei und telefoniere. Es läuft alles zeitgleich, das ist echt verrückt.

Planst du die Strecken vorher ausführlich?

Ich plane nur wenig, die Zeit habe ich gar nicht, und auch gar nicht immer das Netz dazu. Daher wechseln sich gut geplante Strecken mit viel Improvisation ab. Zudem habe ich ja auch nicht Ansprüche wie im Radurlaub: Wenn ich möglichst schnell irgendwohin will, stört es mich nicht, an der Bundesstraße entlang zu fahren. Stehen keine Termine an, suche ich nach schönen Strecken oder fahre mal einen Hügel hoch, weil die Aussicht bestimmt toll ist. Also auch das Radfahren ist mal Arbeit, mal Alltag, mal Abenteuer. Dabei gibt es manchmal Überraschungen, gute wie schlechte.

Gibt es denn so eine Art Workpacking-Alltag oder ist jeder Tag unterschiedlich?

Alltag gibt es nicht. Es gab Tage, da bin ich gar nicht gefahren, an anderen über 100 Kilometer – die längste Tagesstrecke war 175 Kilometer. An manchen Tagen habe ich nicht gearbeitet, an manchen 13 Stunden. Manche Tage waren komplett durchgeplant, an manchen wusste ich nicht, wo ich arbeiten, fahren oder übernachten werde.

Gab es Tage, an denen du dachtest: So eine blöde Idee, ich höre auf?

Blöde Idee: ja, Aufhören: nein. Ich habe natürlich ein paar Dinge gemacht, die man auf einer Radreise eigentlich nicht machen sollte. Zum Beispiel ein völlig neues Rad zu benutzen, das man vorher noch nie gefahren ist, Ausrüstung mitzunehmen, die man noch nie ausprobiert hat. Das ließ sich wegen der kurzen Planungsphase nicht anders machen. Mein Rad ist erst kurz vorher fertig geworden. Das Rad inklusive kompletter Ausrüstung bin ich zum ersten Mal am Morgen der Abfahrt gefahren. Das hat natürlich zu einer immensen Lernkurve unterwegs geführt, wie ich die Dinge anpacke.

Gab es einen Moment, den du als besonders hart empfunden hast?

Eigentlich nicht. Klar wird man an manchen Tagen komplett nassgeregnet. An einem verregneten Abend im Sommer im Odenwald waren es nur etwa sechs Grad und ich habe mir da wohl eine Grippe eingefangen. Insgesamt war ich häufiger krank als zu Hause. Aufhören wollte ich deshalb aber nicht. Im Hochsauerland bin ich im April auf Glatteis gestürzt, da hätte die Tour auch zwangsweise vorbei sein können. Zudem bin ich längere Zeit mit einer über acht Speichenlöcher aufgerissenen Felge unterwegs gewesen. Aber unterm Strich gab es nie eine Situation, an der ich ans Aufhören gedacht hätte. Man darf das Workpacking eben nicht mit Urlaub verwechseln. Es ist Arbeit. Die Idee eines gemauerten, würfeligen Gebäudes mit Hähnen, aus denen Wasser fließt, Dreifachverglasung und einem fest verlegten Kabel, aus dem schnelles Internet kommt, bekommt so einen ziemlich großen Reiz. Wenn man das alles nicht so selbstverständlich zur Verfügung hat, merkt man sehr deutlich, was für einen großen Einfluss das aufs eigene Leben hat. Das ist für ein Jahr okay, als dauerhaften Lifestyle würde ich mir das nicht anziehen.

Lange Reisen verändern Menschen ja oft. Würdest du sagen, das Workpacking hat einen dauerhaften Einfluss auf dein Leben?

Auf jeden Fall! Ich bin demütig und dankbar geworden, dass das überhaupt möglich ist. Es haben ja viele dran mitgewirkt, wie meine Frau, meine Kolleg:innen und andere. Ich bin viel dankbarer für den zivilisatorischen Komfort, wenn ich mal bei einem Kumpel übernachte. Dann denke ich: Wie geil ist denn das? Klo, Wasser, Internet – also die Dinge, die ich tagtäglich organisieren muss, die sind einfach da. Bei der Arbeit habe ich keinen Stift und kein Blatt Papier mehr dabei, sondern arbeite komplett digital.

Ich kann mir auch sehr gut vorstellen, in Zukunft das Workpacking mit anderer Konzeption einen Monat pro Jahr zu machen.

Selfie von Gunnar Fehlau auf dem Rad.
Gunnar Fehlau © www.pd-f.de / Gunnar Fehlau

Gunnar Fehlau ist seit Mitte der 1980er-Jahre eine prägende Figur in der Fahrradszene. Er hat zahlreiche Beiträge in Magazinen veröffentlicht, Bücher geschrieben und ist Herausgeber des Radkulturmagazins fahrstil.

Hat sich an deiner Ausrüstung während deiner Reise viel geändert?

Ich hatte ein Winter-Setup und ein Sommer-Setup. Ich bin mit 56 Kilogramm Ausrüstung gestartet, davon bin ich einige überflüssige Kilos losgeworden. Wenn ich vorher schon mal eine Probetour hätte fahren können, hätte ich da bereits einiges aussortiert. Schaut man sich getrennt an, was ich zum Arbeiten und was ich für den Alltag brauche, habe ich jeweils gar nicht viel Zeug mit – aber zusammen ist es doch viel. Ich fahre aber kein Ausscheidungsrennen und habe nicht den Ehrgeiz, mit möglichst wenig Ausrüstung unterwegs zu sein. Letzten Winter bei minus 14 Grad war ich froh um jedes Kleidungsstück.

Wie sieht es mit der Technik aus: Gab es Probleme? Was hat sich bewährt?

Ich habe einmal vorsichtshalber den Reifen gewechselt, weil ich mit mehr als dem zulässigen Luftdruck gefahren bin, was den Reifen beschädigt hat. Ich hatte drei Platten, was an der bereits erwähnten gerissenen Felge lag. Davon abgesehen hatte ich keine einzige Reifenpanne. Die Nabenschaltung funktioniert problemlos, und ich fahre immer noch den ersten Zahnriemen. Auch sonst hat die Ausrüstung mich nicht im Stich gelassen. Ich habe Akku-Prototypen, mit denen ich die Akkus auch als Powerbank nutzen kann, was auch die Stromversorgung meiner Geräte sicherstellt. So muss ich mich nicht noch darum kümmern, Strom für Handy und Rechner zu besorgen, sondern muss nur zusehen, dass die vier Akkus, die ich dabeihabe, geladen werden.

Wo lädst du die Akkus?

Ich mach das wie ein Kamel, das an eine Oase kommt. Wenn ich wie jetzt in einen Supermarkt komme, frage ich nett, ob ich den Strom anzapfen darf, während ich meinen Kaffee trinke. Eigentlich findet man immer eine Steckdose, wenn man nett fragt und was in die Kaffeekasse tut, und bislang habe ich meine Akkus noch nicht komplett leerfahren müssen.

Falls sich nun jemand inspiriert fühlt, auch so ein Workpacking-Projekt in Angriff zu nehmen: Was wäre dein Ratschlag, worauf man unbedingt achten muss?

Die Frage ist: Wie weit kann man das übernehmen, was ich gemacht habe? Ich bin so privilegiert, einen Job zu haben, in dem so eine Aktion möglich ist, und meinen Chef zu überreden war auch nicht so schwer, denn ich bin mein Chef.

Man sollte sich fragen: Warum will ich das machen und habe ich die richtige Erwartungshaltung? Welches Übernachtungskonzept habe ich? Wie lange will ich das machen? Daraus ergeben sich der Ausrüstungs- und Planungsbedarf. Erlaubt mir meine Firma zum Beispiel drei Tage Homeoffice, könnte ich mir einen Monat mit mehreren Feiertagen suchen und geschickt Feier- und Urlaubstage so kombinieren, dass man einige Zeit auf Workpacking-Tour gehen kann. Wenn ich dann Bed and Breakfast mache, kann ich mit recht wenig Planung und Aufwand auf Tour gehen.

Will ich mehrere Monate unterwegs sein und muss bei Terminen mit ordentlichen Haaren und im Anzug aufkreuzen, steigt der Planungsaufwand. Aber wenn man nur ein paar Tage auf Achse sein will und einen Bürojob hat, in dem man alles vom Rechner und mit dem Telefon machen kann, ist das Workpacking für sehr, sehr viele Menschen möglich, glaube ich. Und ich würde natürlich mit dem Wetter fahren. Also mit dem Nachtzug nach Barcelona oder Rom und dann gemütlich bei angenehmen Temperaturen zurückradeln. Wenn man das so planen kann, wird das richtig gut.

Du hältst bereits jetzt zwischendurch Vorträge über das Workpacking. Wird es auch nach Abschluss der Tour noch Vorträge geben?

Es wird noch weitere Vorträge geben, die Termine sind auf meiner Internetseite zu finden. Im April wird außerdem ein Buch über mein Workpacking-Jahr erscheinen. Ich erlebe genug, um das als Buch herauszubringen.

Danke Gunnar, und weiterhin gute Reise!

„Workpacking. Bikepacking extrem – Mein Jahr als digitaler Lastenradnomade – Alltag, Arbeit, Abenteuer“
Motorbuch Verlag
Erscheinungsdatum: April 2024
Preis: 29,90 Euro

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