Radentscheide wirken – kommunal und darüber hinaus!
Der Radentscheid Bayern wurde für unzulässig erklärt. Die Landesregierung hat schnell ein eigenes Radgesetz verabschiedet. Bernadette Felsch, die Beauftragten des Radentscheids Bayern und Vorsitzende des ADFC Bayern, erklärt die Verwicklungen.
Der bayerische Landtag hat am 20. Juli ein eigenes Radgesetz verabschiedet. Warum die plötzliche Eile und wird es in dem Tempo in Bayern weitergehen?
Bernadette Felsch: Wir haben schon vor der letzten Wahl ein Radgesetz gefordert, das Standards, Zuständigkeiten und Verfahren so regelt, dass über Radinfrastruktur nicht nur diskutiert wird, sondern dass sie wirklich rasch geplant und gebaut werden kann. Denn selbst dort, wo kommunale Radentscheide übernommen wurden, geht es viel zu langsam voran und der Nachholbedarf in Bayern ist enorm.
100.000 Unterschriften für Radgesetz in Bayern
Die CSU hatte ein Radgesetz bis Ende 2022 strikt abgelehnt: Ein solches Gesetz wäre unnötige Bürokratie und ein Eingriff ins kommunale Selbstverwaltungsrecht. Doch einen Tag, nachdem ich im Januar 2023 im Innenministerium angerufen und gesagt hatte, dass wir gerne 100.000 Unterschriften für die Zulassung unseres Volksbegehrens übergeben würden, verkündete Markus Söder plötzlich, die CSU werde selbst ein Radgesetz schreiben.
Die enorme Eile, mit der das CSU-Radgesetz dann ohne unsere Beteiligung geschrieben und beschlossen wurde, lässt darauf schließen, dass die CSU das Thema vor der Landtagswahl (Anm. d. Red. am 8. Oktober 2023) schnell selbst besetzen wollte. Die Erfahrung lehrt aber, dass es nach der Wahl leider nicht annähernd so emsig weitergeht, wie kurz vor der Wahl.
Gesetz der Staatsregierung bleibt vage
Der Radentscheid Bayern hat einen Gesetzentwurf erarbeitet, der vom bayerischen Verfassungsgerichtshof abgelehnt wurde. Warum und worin liegen die größten Unterschiede zum jetzt beschlossenen Radgesetz?
Bernadette Felsch: In Bayern muss man für jedes Volksbegehren einen fertigen Gesetzentwurf einreichen, der nur ein Rechtsgebiet behandeln und keine Kosten auslösen darf. Schon das ist sehr schwierig zu erfüllen. Wir haben unserer Meinung nach all diese Vorgaben eingehalten. Dass unser Gesetzentwurf dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof vorgelegt wurde, war wohl auch Kalkül der Staatregierung, um Zeit für einen eigenen Gesetzentwurf zu gewinnen und das Volksbegehren aus dem Wahlkampf rauszuhalten. Noch ehe das Urteil gesprochen wurde, hat die CSU zusammen mit den Freien Wählern ihren eigenen Gesetzentwurf vorgestellt und auch verkündet, dass unser Gesetzentwurf nächste Woche für unzulässig erklärt werde. Leicht ist die Ablehnung den Richter:innen aber offenbar nicht gefallen: Der vorsitzende Richter sprach von einer „sehr kleinteiligen Prüfung“.
Im Kern gingen nach Meinung des Gerichtshofs ein paar wenige Artikel über „abschließende“ Regelungen im Straßenverkehrsrecht des Bundes hinaus. Dies sei nicht erlaubt. Dabei forderte unser Entwurf keine neuen Verkehrsregeln; vielmehr sollten bestehende Regeln (etwa für Tempo 30 vor Schulen oder die Freigabe von Einbahnstraßen in Gegenrichtung) öfter angewendet werden. Das Gericht fand das zu weitgehend. Es fand, dass unser „soll“ kein „kann“, sondern ein „muss mit Ausnahmen“ darstelle. Auch eine teilweise Zulassung wollte das Gericht nicht. Das und die extrem strenge Auslegung weniger Artikel kann schon den Eindruck erwecken, dass hier Gründe für eine Ablehnung gesucht wurden.
Das jetzt beschlossene Radgesetz der Staatsregierung darf – im Gegensatz zu unserem – auch haushaltsrelevante Dinge enthalten und tut das auch: Es enthält ein höheres Radverkehrsbudget und mehr Personal. Das ist wichtig, wenn auch immer noch zu wenig. Insgesamt bleibt das nun beschlossene Radgesetz in der Formulierung sehr vage und weit hinter unserem Gesetzentwurf und dem zurück, was erforderlich wäre, um den Radverkehr besser und sicher zu machen. Hierfür fehlt ein ambitioniertes Ziel, z. B. zur Steigerung des Radverkehrsanteils oder zur Verbesserung der Sicherheit. Das sagen übrigens nicht nur wir, sondern auch die kommunalen Spitzenverbände.
Der Radentscheid Bayern hat nach dem Urteil verkündet, dass er solange weiterkämpft, bis Bayern ein wirklich gutes Radgesetz hat. Wie ist der Erfolg des Radentscheids zu bewerten?
Bernadette Felsch: Wir hatten angeboten und eigentlich auch erwartet, dass wir – wie in NRW und Berlin – als Volksbegehrensinitiative und Expertenverbände an der Erarbeitung eines Radgesetzentwurfs beteiligt werden. Das ist nicht passiert, sogar die zugesagte Verbändeanhörung wurde in Bayern umgangen und die Stellungnahmen, die ADFC, VCD, AGFK, Gemeinde-, Landkreis- und Städtetag (dennoch) eingereicht haben, wurden nicht berücksichtigt.
Wir spüren aufgrund zahlreicher Rückmeldungen, wie sehr das Vorgehen die Politikverdrossenheit verstärkt – das ist nicht gut. Wir trösten die vielen Aktiven damit, dass es ohne unseren gemeinsamen Druck immer noch kein Radgesetz und noch viel weniger Ressourcen gäbe.
Dass das dem Radentscheid zu verdanken ist, bezweifelt niemand in Bayern. Die enorme Unterstützung war auch an unseren Radl-Demo-Tag im April sichtbar: Mehr als 20.000 Menschen haben mit uns bei mehreren Sternfahrten demonstriert.
Und natürlich machen wir weiter. Beschlossen ist ja auch eine sogenannte Radallianz. Wenn wir über diese nach der Wahl die dringend erforderlichen Nachbesserungen nicht erreichen können, muss man eben nochmal ein Volksbegehren zu Gesetzesänderungen starten.
Wir haben ja jetzt schriftlich, was machbar wäre. Auch wenn der Aufwand enorm war – ich finde es hat sich gelohnt: Radentscheide wirken – kommunal und darüber hinaus! Schade, dass es keine Volksbegehren auf Bundesebene gibt. Dann könnten wir diesen Druck auch für die dringend nötigen Verbesserungen des Straßenverkehrsrechts erzeugen.
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