Vernetzung von Fahrrädern
Elektrofahrräder sind längst zu Fahrzeugen geworden, die weit über ihre Rahmenrohre hinausreichen: Ihre Elektronik kann mit Smartphones, Computern und Datenwolken kommunizieren und bald vielleicht auch mehr.
Der Trend zum Elektrofahrrad ist ungebrochen. 2023 wurden in Deutschland erstmals mehr Fahrräder mit Elektromotor verkauft als ohne. Zu Beginn des Booms waren die Räder noch weitgehend in sich geschlossene Systeme: Motor, Display und Akku wurden von einer Software gesteuert, Einstellungen über das Display vorgenommen. In der Werkstatt konnte mit einem per Kabel verbundenen Analysecomputer auf die Software zugegriffen, Systemupdates aufgespielt und Fehleranalysen durchgeführt werden. Mehr ging nicht.
Drahtlos-Verbindung nach außen
Seitdem hat sich die Technik sprunghaft weiterentwickelt, nicht nur bei den Motoren, sondern auch im digitalen Bereich. Dass die Steuerung von Elektrofahrrädern mit immer mehr Funktionen versehen wird, liegt nahe. Schließlich gibt es mittlerweile extrem kleine, aber leistungsfähige Computer – und um nichts anderes handelt es sich bei den Steuerungen moderner Elektrofahrräder.
Elektronisches Zubehör für Fahrräder gab es natürlich schon bevor Elektrofahrräder populär wurden. Fahrradcomputer und GPS-Navigationssysteme gehörten dazu. Sie waren aber nicht mit dem Rad vernetzt. Die Vernetzung wurde erst mit dem Aufkommen von Elektrorädern richtig interessant, weil sie eine zuverlässige Stromversorgung bieten.
Connectivity und Internet of Things
Drahtlose Kommunikationssysteme machen es möglich, dass sich Elektrorad-Steuerungen mit Geräten außerhalb des Fahrrads verbinden können. Die Schlagwörter dazu lauten Connectivity und Internet of Things (IoT), was so viel wie Verbindungsfähigkeit und Internet der Dinge bedeutet. Alltagsgegenstände werden mit dem Internet verknüpft, um Vorteile für Nutzende und Hersteller zu schaffen.
Diese Verknüpfung eröffnet ein weites Feld an Möglichkeiten für Funktionen, die über den Antrieb hinausgehen. Die nötige Energie kommt aus dem großen Elektroradakku. Die Reichweite wird dadurch nur unmerklich eingeschränkt, denn viel Energie braucht der Computer nicht. Es ist zu erwarten, dass zukünftig auch herkömmliche Fahrräder die Möglichkeiten der Vernetzung nutzen können – die nötige Energie könnten Nabendynamos oder Akkus liefern.
Smartbikes
In der Werbung wird häufig von Smartbikes gesprochen, wenn es um vernetzte Elektroräder geht. Das spielt auf den Begriff Smartphone an, das als Schnittstelle eine wesentliche Rolle spielt. Telefon und Elektrorad kommunizieren meist über die Funkstandards Bluetooth oder ANT+ miteinander.
Im Elektrorad ist eine Kommunikationseinheit mit Antennen eingebaut, über die auf kurze Entfernung Daten zum Telefon oder zum Werkstattcomputer übertragen werden können. Der Chip und die Antenne sind zum Beispiel im Gehäuse des Mittelmotors untergebracht. Dort ist der Anschluss an den Akku kein Problem. Je nach Konstruktion des Fahrrads kann das variieren. Häufig haben Fahrradoder Antriebshersteller die Schnittstelle nicht selbst entwickelt, sondern nutzen spezialisierte Hersteller.
Smartphone-Apps für Einstellungen am Antrieb des Elektrofahrrads
Über eine Smartphone-App können zum Beispiel Einstellungen am Antrieb vorgenommen werden. Das reicht von simplen Einstellungen der Unterstützungsstufe über Konfiguration des Lenkerdisplays bis hin zu Änderungen der Antriebscharakteristik. Manche Elektroräder, an denen keine oder nur rudimentäre Displays vorhanden sind, nutzen das Smartphone entsprechend als Displayerweiterung oder -ersatz. Aber auch weitere Funktionen sind möglich.
Ein GPS-Modul kann zudem über eine Mobilfunkverbindung Standortdaten übermitteln. Diesen Service kann man häufig beim Kauf dazu buchen. Da für die Übertragung der GPS-Daten eine Mobilfunkverbindung nötig ist, fallen auch laufende Kosten an – meist wenige Euro pro Monat.
Daten für Wartung und Optimierung
Es ist auch praktisch, dass die Daten, die beim Betrieb des Elektrorads anfallen, protokolliert, ausgewertet und analysiert sowie für weitere Dienstleistungen genutzt werden können. So können Nutzer:innen zum Beispiel nach einer bestimmten Zahl an Kilometern auf eine fällige Inspektion hingewiesen werden. Auch das Fahrradgeschäft könnte Kontakt aufnehmen und zum Beispiel auf besondere Aktionen aufmerksam machen – das Einverständnis der Kund:innen vorausgesetzt.
Für Hersteller haben die Nutzungsdaten ebenfalls einen großen Mehrwert: Sie erfahren so, wie ihre Produkte tatsächlich genutzt werden. Sensoren können die Belastung von Rahmen und Bauteilen messen und Herstellern helfen, Schwachstellen zu identifizieren und länger haltbare Fahrräder zu bauen.
Mit KI lernen Motoren, den Fahrstil zu analysieren
In vielen Lebensbereichen ist Künstliche Intelligenz (KI) bereits ein vieldiskutiertes Thema. Besonders bekannt ist das Programm ChatGPT, das erstaunliche Ergebnisse erzeugt – von der Bewerbung auf Zuruf bis zur ausgefeilten Abhandlung zu wissenschaftlichen Themen. Aber auch in der Wirtschaft wird KI bereits eingesetzt, um Prozesse zu optimieren und Ressourcen zu sparen. Fahrradhersteller können selbstlernende Programme nutzen, um Fahrräder zu konstruieren und zu testen – ohne echte Prototypen zu bauen. Erst wenn das virtuelle Fahrrad zufriedenstellend funktioniert, wird gebaut und im echten Leben getestet. Manche Elektroradmotoren sind bereits in der Lage, den Fahrstil zu analysieren und sich den Nutzer:innen anzupassen. Wenn der Motor zum Beispiel registriert, dass jemand beim Anfahren nur wenig Kraft aufbringt und sehr langsam vom Fleck kommt, schiebt der Motor aus dem Stand stärker an, als ursprünglich eingestellt.
Die neuesten Entwicklungen von Bosch zum Beispiel analysieren fortwährend den Fahrstil und lernen daraus. Wählt man in der Bosch E-Flow-App eine Route, wird man nicht nur dorthin geführt, das System zeigt auch an, mit welchem Akkustand man am Ziel ankommen wird – oder ob man sparsamer als üblich fahren muss. Gibt man einen Mindest-Ladestand an, den der Akku bei Erreichen des Ziels haben soll, sorgt das System für die passende Unterstützung. Andere Antriebshersteller bieten ähnliche Funktionen. Das ist nur ein Teil der neuen Möglichkeiten – der Fantasie sind quasi keine Grenzen gesetzt.
Vernetzung für mehr Sicherheit
Der KI wird auch großes Potenzial für die Verkehrssicherheit zugesprochen. Sie könnte nicht nur Autos zu freien Parkplätzen führen, sondern auch zwischen Fahrzeugen kommunizieren und zum Beispiel Kraftfahrzeugfahrende auf andere Verkehrsteilnehmer:innen aufmerksam machen. „Vehicle2X“ (V2X) wird diese Technologie genannt, die gefährliche Situationen erkennen und dadurch Unfälle verhindern kann – entweder durch Warnungen oder Eingriffe in Abläufe. So könnte zum Beispiel das Öffnen der Autotür blockiert werden, wenn die KI erkennt, dass Radfahrende in der Nähe sind und es zu einem Dooring-Unfall kommen könnte.
Die Kommunikation könnte nicht nur zwischen Fahrzeugen stattfinden, sondern auch Fußgänger:innen einbeziehen, die ein Smartphone dabei haben. Auch Kinder und Haustiere könnten Sensoren tragen, die von anderen Verkehrsteilnehmenden registriert werden. Ampeln, Parkplätze, Bahnübergänge, Baustellen und mehr könnten Informationen in dieses Netzwerk einspeisen und Navigationsgeräten helfen, bessere Routen zu finden.
Einheitliche Funkstandards notwendig
Eine solche Vernetzung setzt natürlich voraus, dass die Geräte einen gemeinsamen Funkstandard bedienen, über den sie kommunizieren können, und das nicht nur im Nahbereich. Bedenkt man, dass sich die Fahrradbranche bislang nicht einmal auf einheitliche Ladestecker für Elektrofahrräder einigen konnte, ist es schwer vorstellbar, dass sich über mehrere Industrien hinweg ein einheitlicher Kommunikationsstandard etablieren lässt.
Aber die ersten Schritte sind getan: In Nordamerika hat sich die Coalition for Cyclist Safety (Koalition für die Sicherheit des Radfahrens) gebildet. Sie besteht aus Unternehmen der Fahrrad-, Auto- und Technologieindustrie und hat das Ziel, ein einheitliches System zu schaffen, mit dem die verschiedenen Verkehrsarten miteinander kommunizieren können.
Ausgefeilte Sicherheitsarchitekt nötig, um Daten zu schützen
Keine Chancen ohne Risiken: Die ungeheure Menge an Daten, die für die Vernetzung nötig sind, sind potenziell anfällig für Missbrauch. Es wird ausgefeilte Sicherheitsarchitekturen benötigen, um die Daten zu schützen. Zudem dürften viele Funktionen nicht oder nur schwierig mit Datenschutzgesetzen vereinbar sein.
René Filippek